Ja oder Ja

Freund W. ist zu Besuch, der Freund. Der langjährige Freund des Liebsten, jetzt auch meiner.
Wenn ich´s mal gestern nicht versch... habe. Wer weiß.
W. klärte auf über das vom Schreibenkönnen schlecht Lebenkönnen, das war was ich erfahren wollte, nachdem er seinen Lebensweg diesem Abenteuer gewidmet hat. Und müde geworden ist, das Klinkenputzen nicht mehr mag. Lachen kann er noch, aber es ist ein melancholisches Lachen.
Seine Frau hat seit vielen Jahren Depressionen, Therapien gemacht, Unsicherheiten gepflückt und genährt. Sie geht fast nicht mehr aus dem Haus, wie in einem selbstgezimmerten Kerker stelle ich mir das vor, heute Morgen sage ich Selbstislamisierung dazu. Es geht ihr sehr schlecht und W.s Zärtlichkeit besteht darin, das zu akzeptieren. Sie ist 57(und sieht 10 Jahre jünger aus), er etwas älter, und er geht davon aus, dass sich nichts mehr ändert. Nach so gewohntem Leid, und, wie es sich kritisch und unausgesprochen in mir regt, einer so gewohnten Konstellation für beide. Ich will das plötzlich absolut nicht akzeptieren. Zu jedem Zeitpunkt gibt es die Möglichkeit von Wiederauferstehung und Gnade. Zum endlich Lebendürfen. Ich werde da sehr strikt und W., der an sich höflichste Mensch der Welt, sagt zwei oder drei Mal, das wären dumme Sprüche. Ich weiß, dass das nicht stimmt, ich weiß, dass er sich ärgert.
Nachdem W. sich auf den Weg gemacht hat, nicht ganz im Guten, geht das Streitgespräch gerade weiter. Der Liebste ist auch mindestens irritiert von mir, ganz aufgeregt. Er besteht wild und fest darauf, dass Leute, die leiden nun mal leiden. Ich verstehe nicht, dass man das so einfach akzeptieren kann, bei jemand anderem. So anwaltlich, so scheinbar mitfühlend, es okay finden, dass da nun zwei Männer sich einig sind, dass diese Frau vielleicht noch vierzig Jahre im Kerker lebt. Dass sie mich unverschämt finden.
Später erfahre ich, woher die Aufregung. Meine Worte galten als Beschuldigung, ich habe unterstellt, dass die gefühlte Kleinheit den Menschen vorzuwerfen sei. Weil ich gesagt habe, da ist ein Leben, das leben darf, wenn es es sich nur erlaubt. Ich erinnere mich an mich. Ja, das gibt es, dass noch die Ermunterung, dass das sinnlose Leid vielleicht nicht nötig ist: wie ein Vorwurf wirkt. Es kann einen schon ermatten, wie hartnäckig die Spirale ist, wenn die Produktion von Schuldzusammenhängen erst mal am Laufen ist. Es tut mir so leid, dass die Menschen diese Fähigkeit haben, alles gegen sich selbst zu wenden, immer wieder.
Und ich denke an Frau Angsthase. Die vielleicht stellvertretend für andere die Spirale durchbrechen wird als Heldin der Sorge für dieses eine einzige kostbare Menschenleben. Oder?
rosmarin - 22. Dez, 17:54

da gehts mir wie dir. ich find's immer wieder unerträglich anzuschauen, wie andere sich im leiden einrichten. sie dafür in die verantwortung zu nehmen, ist offenbar "pfui".... sowas denkt und sagt man nicht. ES ist halt so. ES lässt sich angeblich nicht ändern. und von änderung auszugehen, heisst offenbar, zu beschuldigen. brrrrrrrr

Luiling - 25. Dez, 02:31

ich würd mal sagen...

"JA"

und dich am liebsten in meine Arme nehmen.

Hm, jede hat die Möglichkeit sich zu befreien.... mit oder ohne Partner.

Sich befreien von sich selbst aber - hm, das hat einen sehr weiten Weg.

Gruß
Frieda

wasserfrau - 25. Dez, 19:02

Vielen Dank für den lieben Kommentar.
Euch beiden Dank - denn ein paar Minuten nur, dachte ich: mich versteht gar keiner mehr. Zumindest aber an diesem Abend: Menno, ich kann es nicht verständlich machen. Und W. war etwas angefressen, als er ging. Dabei mag ich ihn sehr. Aber: Es gibt wohl natürlichen Widerstand gegen das was ich gesagt habe. Tja.
Lange-Weile - 2. Jan, 15:18

Klarheit im Weltschmerz

Hallo Wasserfrau,

ja, so manch ein Mensch richtet sich in seinem Leid ein und wehe dem, der an dieser Festung rüttelt.

Du hast daran gerüttelt und dir einen Ordnungsbacks aus dem Umfeld eingehandelt.

Doch ohne zu ahnen, kamst du genau an die schmerzvolle Grenze, die der Leidende sich selber setzt. Du wolltest erhellen, was der Leidende zu verschleiern sucht.

Auch wenn es etwas abgehoben klingt - die Leidende profitiert in seinem leidvollen Statius, der er sich vielleicht auf Jahre und mühevoll erarbeitet hat.
Warum das Leid als Lebensinhalt? Weil der Leidende sich nur noch durch seine Leid spürt und ihm Halt gibt und weil ein Leidender ein Übermaß an Zuwendung aus dem Umfeld bekommt. Diese Übermaß zu stillen gelingt ihm ganz geschickt über den Leidensweg. Die Zuwendung ist sein wahres (ungebwußtes) Ziel. Deshalb reagiert ein Leidender oft giftig, wenn man ihn auf die Nutz- oder Sinnlosigkeit seines Leides hinweisen will oder gar ein nutzvollen Ratschlag geben würde.

Für den der zusehen muß ist es schwer, wenn er die "Mechanismen" des Leidenden nicht kennt. Doch sind diese Mechanismen durchschaut läßt sich das Leid des anderen mit Distanz betrachten und geht nicht mehr unter deine Haut.

Wir bemühen uns beide um den Angsthasen und du hast ja mit deinem letzten Kommentar erkannt, dass der Angsthase noch lange nicht bereit ist . aufzustehen.

Gruß LaWe

PS: "Die drei Lichter der kleinen Veronika" ein nettes kleines Buch - es erzählt auch über die Irrwege der Menschen, zeigt auf, warum Menschen sind im Kreise drehen oder ihre Leben gar zum Stillstand bringen....

wasserfrau - 5. Jan, 12:12

Liebe La-We. Bevor ich das hier lesen durfte, habe es eben nämlich erst entdeckt, habe ich ganz Ähnliches dem Angsthasen in den Blog geschrieben. Ja, ich weiß, es gibt da einen "Gewinn", Routine, Muster, Selbstvergewisserung, Halteschnur: Leiden ist ein tagesfüllendes Geschäft und sozusagen besser als nichts.
Geht es mir wirklich unter die Haut? Nein, nicht wirklich. Es macht mich manchal aggressiv.
Ich bin vielleicht, so befürchte ich langsam, angeödet, sauer, dass Menschen, in denen so viel steckt - die Frau um die es in diesem Beitrag ging, W.s Frau hat tolle Bücher lektoriert und einen Kopf zum Denken auf ihren Schultern - dass die es mir verweigern, ihr Lebendiges mit-zu-teilen. Insofern bin ich da eher egoistisch. Warum erzählt man mir vom Leiden, wenn man partout nichts ändern will?
Es ist ja alles erklärt, du hast es nochmal sehr genau in Worte gefasst. Ich nehme es mittlerweile als eine Verweigerung von Mit-Menschlichkeit. Fehlendes Vertrauen, Sturheit. Natürlich aus Angst. Teufelskreis, schade.

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